Nietzsches Dionysos

Authors

  • Dieter Mersch Zurich University of the Arts

Keywords:

materiality, event, thinking in presence, Avantgarde, Apolloninische, Dionysos, Dionysische, Differenzästhetik, Erscheinung, Erscheinen, Form, Erhabene, Bruch, Riss, Konstellation, Paradox, Widerspruch, Nietzsche, Heidegger, Derrida,

Abstract

Deutsch:

Nietzsches Dionysos stellt zwar eine direkte Provokation und einen Angriff auf die seit Winckelmann gültige Klassik-Deutung dar, die das Apollinische zu ihrem Zentrum erhoben hat, und gegen dessen Prinzip die Einführung eines anderen, entgegengesetzten Prinzips keine genuine Erfindung Nietzsches darstellt, vielmehr der schmalen Kluft zwischen Hegel und Hölderlin ersteigt. Weist nämlich die Hegelsche Ästhetik von Anfang an auf den Schein und die Erscheinung – als notwendige Bedingung der Wahrheit, denn die Wahrheit wäre nicht, wie Hegel schreibt, wenn sie nicht schiene und erschiene –, so bleiben Schein und Erscheinung doch überall an ans Kriterium des Absoluten gebunden, ja die Unwahrheit des Ästhetischen liege geradezu darin, dass es gar nicht anders könne, als sich der Sprache der Erscheinungen zu bedienen. Für Hölderlin avanciert hingegen das Dionysische zu einem metapoetischen Symbol, die ihn, den Schillernden und sich stets Verwandelnden, mit der Praxis der Kunst selbst verbindet. Nietzsche knüpft hieran an, auch wenn er der Metapher eine ganz andere Wendung erteilt.

English:

Nietzsche’s Dionysus, admittedly, represents a direct provocation and an attack on the classical interpretation accepted since Winckelmann, an interpretation that elevates the Apollonian to its central point of focus; Nietzsche’s introduction of another principle to oppose it, rather than representing a genuine invention, in actuality bridges the small gap between Hegel and Hölderlin. If, namely, the Hegelian aesthetic from the very beginning points to Schein and Erscheinung – as necessary conditions of truth, for the truth would not exist if it were not to “superficially appear” (scheinen) and “make its appearance” (erscheinen), writes Hegel – Schein and Erscheinung would still nonetheless be bound up everywhere with the criterium of the absolute; after all, the untruth of the aesthetic rests squarely in the fact that it cannot do other than to draw upon the language of Erscheinung. For Hölderlin, on the other hand, the Dionysian advances to become a metapoetic symbol combining itself – the enigmatic and continually transforming – with the practice of art. Nietzsche follows those very same lines even while giving the metaphor a thoroughly different twist.

Author Biography

Dieter Mersch, Zurich University of the Arts

Dieter Mersch studierte Mathematik und Philosophie an der Universität zu Köln und der Ruhr-Universität Bochum. Er arbeitete von 1983 bis 1994 als Dozent für Wirtschaftsmathematik an der Universität zu Köln und an der Fachhochschule Köln. Zwischen 1983 und 1997 arbeitete er ebenfalls als freier Autor für verschiedene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Deutschland.

Er wurde 1992 mit einer Dissertation in Philosophie über die Semiotik, Rationalität und Rationalitätskritik an der Technischen Universität Darmstadt zum Dr. phil. promoviert. Danach war er bis 1997 freier Autor für verschiedene öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Von 1997 bis 2000 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Darmstadt und habilitierte sich 2000 in Philosophie mit der Arbeit Materialität, Präsenz, Ereignis. Untersuchungen zu den Grenzen des Symbolischen. Von 2001 bis 2004 war er Gastprofessor für Kunstphilosophie an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Von 2004 bis 2013 hatte er einen Lehrstuhl für Medienwissenschaft an der Universität Potsdam inne. Seit 1. Oktober 2013 ist Dieter Mersch Leiter des Instituts für Theorie (ith) der Zürcher Hochschule der Künste.

Dieter Mersch ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik, der Gesellschaft für Musik und Ästhetik (Freiburg), der Gesellschaft für Medienwissenschaft sowie der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft für Philosophie. Zudem ist er Beiratsmitglied der Zeitschrift für Kulturphilosophie und Herausgeber des Internationalen Jahrbuchs für Medienphilosophie. Seine Arbeitsschwerpunkte befinden sich in den Gebieten Medien-, Kunst- und Sprachphilosophie, Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Semiotik und Ästhetik.

References

Bohrer, Karl Heinz. 2013. „Dionysos. Eine Ästhetik des Erscheinens.“ In Sichtbarkeiten 1: Erscheinen, herausgegeben von Mira Fliescher, Goppelsröder Fabian, Dieter Mersch, 13–38. Zürich: diaphanes.

Derrida, Jacques. 1972. „Das Theater der Grausamkeit und die Geschlossenheit der Repräsentation.“ In Die Schrift und die Differenz, übersetzt von Rodolphe Gasché, 351–379. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Heidegger, Martin. 1984. Grundfragen der Philosophie. Gesamtausgabe, Bd. 45. Frankfurt am Main: Klostermann.

Heidegger, Martin. 1985. Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst. Gesamtausgabe, Bd. 43. Frankfurt am Main: Klostermann.

Lyotard, Jean-François. 1994. Analytik des Erhabenen. Kant-Lektionen. Übersetzt von Christine Pries. München: Fink.

Mersch, Dieter. 2002. Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis. München: Fink.

Lyotard, Jean-François. 2004. „Das Entgegenkommende und das Verspätete. Zwei Weisen, das Ereignis zu denken: Derrida und Lyotard.“ In Im Widerstreit der Diskurse, herausgegeben von Dietmar Köveker, 69–108. Berlin: Wissenschaftsverlag.

Lyotard, Jean-François. 2006. „Besessenheit. Zur Struktur des Verlangens.“ In Große Gefühle, herausgegeben von Ottmar Ette und Gertrud Lehnert, 101–114. Berlin: Kadmos.

Nietzsche, Friedrich. 1999. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden. Herausgegeben von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. 3. Auflage. München/Berlin/New York: DTV Walter de Gruyter.

Published

21-12-2017

How to Cite

“Nietzsches Dionysos”. 2017. Performance Philosophy 3 (2): 352-62. https://doi.org/10.21476/PP.2017.32141.

How to Cite

“Nietzsches Dionysos”. 2017. Performance Philosophy 3 (2): 352-62. https://doi.org/10.21476/PP.2017.32141.