Gilbert Simondons ‚Transduktion‘ als radikale Immanenz der Performanz

Paulo de Assis, Orpheus Institute

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Mirko Wittwar

 

0. Einleitung

Transduktion ist Gilbert Simondons Schlüsselkonzept für das Verständnis von Prozessen der Differenzierung und Individuation in einer Reihe von Gebieten, einschließlich der naturwissenschaftlichen Disziplinen, der Sozial- und Geisteswissenschaften, technischer Hilfsmittel sowie der Domänen des Künstlerischen. Auf den Naturwissenschaften beruhend und bezüglich seiner philosophischen Implikationen entscheidend weiterentwickelt durch Simondon, bezieht sich die Transduktion auf eine dynamische Operation, in deren Verlauf Energie aktualisiert wird, indem sie im Verlaufe eines Prozesses, der neue Materialitäten individuiert, von einem Zustand in einen anderen gebracht wird. Der vorliegende Text macht dieses Konzept auf die Musikpraxis anwendbar und zielt darauf ab, eine konzeptionelle Grundlage für umfangreichere Forschungsbemühungen zu schaffen, die entscheidend die künstlerische Praxis—sowohl Komposition als auch Performance—als ihren Ausgangs- und Endpunkt miteinschließt. Nach einer einleitenden Darstellung der Bedeutung, welche die Transduktion für Musiker_innen haben kann, konzentriert sich der vorliegende Text auf die Darlegung unterschiedlicher Definitionen der Transduktion, die hauptsächlich von Simondon selber stammen, aber auch zwei Erweiterungen betreffen: zum einen von Deleuze’ Konzept der Haecceïtas (bzw. ausgehend von Deleuze von meiner eigenen Mikro-Haecceïtas), zum anderen von Brian Massumis Begriff der Körperlichkeit. Vor dem Hintergrund des Potentials, welches diese Definitionen für die Herstellung von Musik entfalten können, untersucht der vorliegende Aufsatz acht unterschiedliche, aber komplementäre Möglichkeiten, die Transduktion zu denken, und dies in steigernder Komplexität, von der Glühbirne (3.1.) bis zu den Feinheiten der Entscheidungsfindung in lebenden Organismen (3.8.), wobei auch die Frage von Zeit und Temporalität (3.2.), die Thermodynamik (3.3.), die Informationstheorie (3.4.), eine überarbeitete Theorie der Haecceïtas (3.5), die Riemannsche Topologie (3.6.) sowie die Körperlichkeit angesprochen (3.7.) werden. All diese Themen werden nur kurz vorgestellt, als Eingangstore zu weiteren Untersuchungen, als Vorschläge für zukünftige Richtungen der Forschung und ohne den Anspruch, abgeschlossene Gedankengänge darzustellen.

Die Entscheidung, sich als praktizierender Musiker im Rahmen einer Publikation über den Gedanken der Immanenz in der Philosophie und den Künsten mit dem Konzept der Transduktion zu beschäftigen, beruht auf einer zweifachen Motivation. Einerseits ist dies eine Bestätigung dafür, dass Künstler-Forscher_innen einen eigenständigen, trans-disziplinären Ansatz verfolgen, der es ihnen erlaubt, phasenweise ihre Bemühungen mit denen von Philosoph_innen, Naturwissenschaftler_innen, Historiker_innen oder Techniker_innen zu synchronisieren. Andererseits handelt es sich bei Transduktion um einen Begriff, der sich in radikaler Weise auf immanente Prozesse der Differenzierung und Individuation bezieht; es handelt sich hier um ein Konzept, das darauf beruht, sich völlig in einen energetischen Bereich einzulassen, der aus Potentialen besteht, ein Konzept, welches die Unnötigkeit irgendwelcher transzendentaler Referenz- oder Koordinatensysteme betont, womit gesagt sein soll, dass es sich um ein Konzept handelt, das aus der reinen Immanenz entsteht und sich auf diese bezieht.

1. Übertragende Intensitätsflüsse in der Musik

Stellen wir uns eine junge Pianistin vor, die gerade die Bühne betreten will, um Brahms Klavierkonzert Nr. 2 in B-Dur, Opus 83, aufzuführen. Der Auftritt soll in wenigen Minuten beginnen, die Musiker_innen des Orchesters haben bereits ihre Plätze eingenommen, der Dirigent wird gleich auf ihre Schulter tippen, als Zeichen, jetzt auf die Bühne zu gehen, und das Denken unserer Solistin konzentriert sich vermutlich völlig auf die ersten beiden Seiten der Partitur, auf den Dialog des Pianos mit den Bläsern, gefolgt von der einschüchternden Kadenz, die dann zum Einsatz des ganzen Orchesters überleitet. In genau diesem Moment, in den allerletzten Sekunden, bevor sie die Bühne betritt, ist das ganze Konzert—all seine Tonstufen, Rhythmen, seine gesamte Form, die Klangfarben der Instrumente, der Umfang der Dynamik, die Tempi, die Verwendung der Pedale, die Griffe und Gesten—auf das Lebhafteste präsent im Geist und im Köper der Pianistin, und all dies wird ganz konkret als ein weites Feld der Virtualität empfunden. Eine Virtualität, die man nicht im Sinne einer virtuellen Realität verstehen darf, sondern ganz im Gegenteil als etwas absolut Reales, etwas, das tatsächlich existiert und genau in diesem Augenblick wahrgenommen wird—unmittelbar vor Beginn der Aufführung—als eine Spannung, als ein unendliches Reservoir an möglichen Aktualisierungen, von denen manche auch geschehen werden, und die beginnen werden, sobald der Dirigent den ersten Takt vorgibt. Für eine Musikerin ist dies einer der besten Augenblicke, um das komplexe Verhältnis zwischen Deleuzes Konzepten des Virtuellen und des Aktualen zu spüren, zu erfassen und zu verstehen.[1] Alles das, was ein Musiker oder eine Musikerin von einem gegebenen Werk der Musik weiß und verspürt, ist in solchen Momenten intuitiv präsent, als hoch-energetische Wolken von Potentialitäten. Sobald die Pianistin mit ihrer Aufführung beginnt—sobald sie die Tastatur körperlich berührt, mit voller Aufmerksamkeit auf das Orchester hört, im richtigen Augenblick zum Dirigenten schaut—all diese Potentialitäten durchlaufen einen Prozess der Synthese und führen zu einem radikalen Hier-und-Jetzt eines jeden Bruchteils einer Sekunde, eine nach der anderen; in engster Nachbarschaft zueinander und in rapider Geschwindigkeit produzieren sie konkrete Aktualisierungen von Kräften und Materialien. Nachdem das Konzert erst einmal begonnen hat, ist das, was unsere junge Pianistin sowie die Zuhörer_innen in Echtzeit erleben, der Übergang von einer ‚soeben erst‘ konstituierten Assemblage von Kräften, Intensitäten und Energien zu einer anderen, die sich noch im Prozess der Konstituierung befindet. Etwas—eine Kraft, ein Signal—wird von einem Augenblick zum anderen übertragen, mit Lichtgeschwindigkeit, ohne Unterbrechung und Energieverlust. Ein durchgehender Prozess der Differenzierung findet statt und geschieht vor unseren Augen und Ohren. Dieser Prozess geschieht ‚operationell‘: etwas passiert, etwas entsteht aus einem weiten Feld prä-individueller und unpersönlicher Spannungen, die den ‚meta-stabilen Horizont‘ des Stückes und der Performer_innen konstituieren, eine Operation, die zum Entstehen neuer Spannungen führt, welche sich aus dem radikalen Hier-und-Jetzt der Performance entwickeln, ohne einen eindeutigen Determinismus oder absolute Vorhersagbarkeit. Aus den Lücken zwischen der Intention des/der Performer_innen und dem, was tatsächlich geschieht, sowie dem, was unmittelbar anschließend intendiert ist, läuft ein Strom der Virtualität von einer Aktualisierung zur anderen. Ströme von Intensitäten entfalten sich im Verlaufe der gesamten Zeit im spezifischen Hier-und-Jetzt, in den hochgradig beschleunigten und hyper-energiegeladenen Erewhons der musikalischen Aufführung. Es ist dieser bestimmte Prozess des Musikmachens, der Kommunikation, der Übertragung und der Entstehung von Intensitäten, den ich als ‚performative Transduktion‘ bezeichnen würde—indem ich für die Musikpraxis einen Begriff übernehme, welchen der französische Wissenschaftsphilosoph Gilbert Simondon in den 1950ern eingeführt hat.

Simondons Ziel war die Entwicklung einer dynamischen Theorie der Technologie, indem er die Ontologie durch die Ontogenesis und die Struktur durch die Embryogenesis ersetzte. Seine Bemühungen schwingen mit und waren Inspiration für meine eigene fortlaufende Arbeit an einer dynamischen Theorie musikalischer Werke und ihrer Aufführung. Simondons Konzept der Transduktion ist äußerst vielversprechend für Musiker_innen, denn es scheint das Potential zu haben, neue Wege des Denkens, des Problematisierens und der Durchführung künstlerischer Aktivitäten auf der Grundlage intensiver temporaler Prozesse zu eröffnen, wie zum Beispiel die Aufführung von Musik und die Komposition. Sowohl im Augenblick der Komposition oder beim Akt der Aufführung, aber auch wenn man nur eine Partitur liest oder einen Entwurf studiert, lassen sich etliche Wandler (transducer) und Wandlungsprozesse (transductive processes) identifizieren. Der wichtigste Wandler (Schnittpunkt, interface) ist allerdings der menschliche Körper (das Niederschreiben einer Partitur, das Spielen eines Instrumentes, das Vibrieren eines gesungenen Akkords), ein komplexer lebender Organismus, der von diversen Informationsschichten und unzähligen Trieben belebt ist, die in ihrem Zusammenarbeiten das aktuale Aufkommen von musikalischen Ereignissen formen. Indem er Körper, Instrumente, Körper-Instrumente, Partituren, Aufnahmen, Konzerthallen und Zuhörerschaften als verschiedene Arten von Wandlern versteht, zielt der vorliegende Beitrag darauf ab, die Grundlage für einen neuen Zugang zur Musikherstellung zu schaffen, indem ein experimentelles Regime identifiziert wird, das durch Ensembles von Wandlern und ihre jeweiligen Übertragungen von Effekten und Intensitäten gekennzeichnet ist. Ein solcher Ansatz ermöglicht und verstärkt eine entscheidende Verschiebung weg vom statischen Gegensatz zwischen ‚Werk‘ und ‚Aufführung‘ (performance), zwischen ‚Partitur‘ und der erwarteten ‚Vorstellung vom Werk‘, zwischen archetypischen Verallgemeinerungen (‚das Werk‘) und zufälligen Besonderheiten (‚Aufführungen‘), hin zu einem Bereich, der energetisch und molekular ist.

Die Anwendung von Simondons Konzepten und seiner Terminologie auf die Musik ermöglicht weiterhin eine dringend nötige Abkehr von historisch bedingten, aber problematischer Weise immer noch geltenden formalistischen und auf Subjektivität beruhenden Herangehensweisen an die Musik. Einerseits wird die Musiktheorie von einem Formalismus dominiert, der in dialektischer Weise die Form von der Sache trennt (Hylemorphismus), sich auf feste Strukturen konzentriert (die res extensa, welche die bevorzugten Bereiche der Analyse und Historiographie bleiben), während die energetischen Potentiale unterschätzt werden (die res intensa, welche Arbeitsgebiete der Komponist_innen und Performer_innen konstituieren), und die energetischen Bedingungen und entropischen Prozesse ignorieren, die zu jeder gegebenen musikalischen Form und Ausdrucksweise führen. Der Formalismus verlässt sich eher auf Formung (molding)—„eine abstrakte Konzeption, welche die Sache in einen Gegensatz zur Form bringt“ (Sauvagnargues 2016, 70)[2]—anstatt auf Modulation (modulation)—„eine durchgängige Vorstellung von Form zwischen den Eigenschaften des Materials und der konkreten Aktion der Form“ (Sauvagnargues 2016, 70).[3] In diesem Sinne ist es wichtig, zu betonen, dass der vorliegende Beitrag Teil einer umfangreicheren Bemühung ist, Einblick ingenetische Operationen zu gewinnen, in die Prozesse der Individuation bei musikalischen Werken sowie in ein neues Bild von musikalischen Objekten, die auf dem Begriff der Mannigfaltigkeit beruhen, ein Versuch, der letztendlich zu einer Kritik generischer Strukturen oder archetypischer Vorstellungen musikalischer Werke führt.

Andererseits haben Fragen nach Subjektivität eine Tendenz, die nicht-menschliche Komponente eines jeden transduktiven Prozesses zu ignorieren oder auszuschließen. Studien zur Subjektivität neigen daher zum Menschlichen, allzu Menschlichen. Jedes Individuum, das in eine Performance involviert ist, moduliert mit Hilfe einer komplexen Menge disparater Elemente, wobei augenblicklich etliche disparate Inkonsistenzen des Materials gelöst und beseitigt werden, eine sofortige Synthese (Aktualisierungen) aus einer Wolke real existierender prä-individueller Singularitäten (das Virtuelle) durchführt wird. Wie Simondon demonstriert, ist das Individuum, „ob es sich nun um ein Subjekt handelt oder um ein Wesen egal welcher Art, niemals substanziell gegeben, sondern es entsteht aus einem Prozess der Individuation“ (Sauvagnargues 2016, 63).[4] Die Transduktion ermöglicht eine Perspektive, in der musikalische Objekte und Aufführende zu gleicher Zeit individuiert werden; sie befreit die Werke von struktureller Fixiertheit und die Aufführenden von psychologischer Subjektivierung. Anstatt aus einem zentralisierten, kontrollierenden Bewusstsein heraus zu operieren, erscheint der Aufführende als das (menschliche und nicht-menschliche) Bindeglied zwischen der unpersönlichen und prä-individuellen Vielfalt der virtuellen Komponenten eines jeden Werkes und seiner Aktualisierung durch Klang und Geste. Jenseits der Subjektivität ermöglicht die Vorstellung der Transduktion die Hereinnahme einer nicht-menschlichen Perspektive in die Prozesse der Intensitätsflüsse in der Musikwiedergabe.

2. Simondons Konzept der Transduktion

Simondon definierte die Transduktion in verschiedener Weise und beleuchtete dieses Konzept aus unterschiedlichen Richtungen. In seiner einfachsten technischen Formulierung ist ein Wandler (transducer) ein technischer Gegenstand, ein durchgängig wirkendes elektrisches Relais, das als modulierbarer Widerstand zwischen einer potentiellen Energie und dem konkreten Ort ihrer Aktualisierung fungiert, wobei dieser Widerstand durch das Mittel der Information moduliert werden kann, die allerdings nie der potentiellen oder aktualen Energie zugehörig ist. Die Transduktion wiederum ist ein Prozess, in dessen Verlauf eine Disparität topologisch und temporal über eine Schnittstelle (interface) oder Ensembles von Schnittstellen hinweg umstrukturiert wird. Anstatt auf prä-existente oder präformierte individuierte Begriffe (die auf dem Dualismus von Form und Sache beruhen), konzentriert sich Simondon radikal auf die Prozesse der ,In-formation‘ und behauptet, dass jedes Ereignis oder jedes Individuum nicht einfach das Resultat, sondern ein Milieu der Individuation darstellt.

Transduktion ist Simondons Schlüsselkonzept zum Verständnis der Individuation in einer Reihe von Bereichen, einschließlich wissenschaftlicher Disziplinen wie Physik, Biologie, Histologie, Ethologie, Kristallographie, Psychologie; technologischer Gegenstände wie Motoren, elektrischer Röhren, Lampen, Telefone, Mühlen, Turbinen und Autos; sowie künstlerischer Domänen—eine ästhetische Ausweitung seines Systems, die Simondon im dritten Abschnitt seiner These aus dem Jahre 1958, Zur Existenzweise technischer Objekte (siehe Michaud 2012, 121), vornimmt. Die Gründe für eine derart eindrucksvolle Vielseitigkeit sind sicherlich nicht eindeutig, doch man kann sich einige der Aspekte vorstellen, die dazu beigetragen haben. Zunächst ist Simondons Projekt in radikaler Weise in Richtung auf eine Logik der Kreation orientiert: Dinge und Subjekte werden nie als prä-konstituiert angesehen, und die ‚gute Form‘ wird nie stabil (siehe Garelli 2013, 16), sondern bleibt in der Schwebe zwischen Struktur und Energie, in einer meta-stabilen Balance. Zweitens thematisiert schon der Begriff der Transduktion das Ereignis, indem er auf der Entstehung des Neuen beharrt, auf jenen Komponenten einer jeden Instanz oder Assemblage, welche das Potential zur Veränderung haben, zur Störung von Gewohnheiten, Stratifikationen oder jeder anderen Form von Rigidität. Drittens enthält die Konzentration auf energetische Prozesse und Flüsse eine vitalistische Dimension, da sie Sequenzen des Werdens generiert, ein Intensität-werden, wobei die Intensität selber als kreativer Vektor der Auflösung der Individuation definiert werden kann: etwas-werden bedeutet nicht, dieses-zu-werden, sondern immer etwas-anderes-zu-werden. All diese Aspekte verstärken eine modale Perspektive auf die Welt, die in einem Gegensatz zu essentialistischen oder substantialistischen Darstellungen stehen und den Begriff der Transduktion leicht auf jeden gegebenen Untersuchungsbereich anwendbar macht.

3. Simondons diverse Definitionen der Transduktion

Jedes philosophische Konzept hat seine eigenen Vorläufer, Vorgänger, Entwicklungslinien und verschiedenen Definitionen. Konzepte bewegen sich innerhalb spezifischer Kontexte, und sie können außer Gebrauch geraten, eine Zeit lang verschwinden und später wiederkehren, in einem anderen Zusammenhang, und indem sie sich auf andere Problemkonstellationen beziehen. Wie Zellen, Organismen und Maschinen haben auch Konzepte ihre eigene Embryogenese, insofern sie das modale und temporäre Ergebnis eines Individuationsprozesses sind. Sie gehören auch der Paarung virtuell/aktual an, und sie haben ebenso Teil an transduktiven Operationen. Am 10. November 1981, während der ersten Sitzung seines Seminars über das Kino an der Universität Paris VIII in Vincennes, machte Deleuze eine wichtige Beobachtung bezüglich der ‚Dicke‘ (épaisseur) von Konzepten:[5]

Eine philosophische Idee ist immer eine Idee, welche diverse Schichten und Ebenen aufweist. Sie ist wie eine Idee und ihre Projektionen. Ich meine, sie hat mehrere Ausdrucksstufen, Manifestationsstufen. Sie hat eine Dicke. Eine philosophische Vorstellung, ein philosophisches Konzept weist immer eine Dicke, ein Volumen auf. Man kann es auf eine Ebene heben, dann auf eine andere, und auf wieder eine andere; dies ist kein Widerspruch. Doch die Ebenen unterscheiden sich voneinander. (Deleuze 2006, 0´55“–1´26“) [6]

Simondons Konzept der Transduktion ist ein gutes Beispiel für eine solche Dicke eines Konzeptes. Simondon selbst gab diverse Definitionen der Transduktion, jedes Mal aus einer anderen Perspektive, oder indem er disziplinspezifische Beispiele und Probleme ansprach. Im Folgenden werde ich einige dieser von Simondon gelieferten unterschiedlichen Definitionen der Transduktion kurz vorstellen. Darüber hinaus stelle ich zwei Erweiterungen vor: zum einen von Deleuzes Konzept der Haecceïtas (bzw. abgeleitet von Deleuze meine eigene Mikro-Haecceïtas), zum anderen von Brian Massumis Begriff der Körperlichkeit.

3.1. Entladung (Potentialität)

Auf der einfachsten technischen Ebene definierte Simondon einen Wandler als ein ständiges elektrisches Relais, das als modulierbarer Widerstand zwischen einer potentiellen Energie und dem Ort ihrer konkreten Aktualisierung fungiert (siehe Simondon 2013, 82). Dieser Widerstand lässt sich mit Hilfe der Information modulieren, die allerdings nicht Bestandteil der potentiellen oder aktualen Energie ist (siehe Simondon 1958, 143).[7] Entsprechend dieser einfachen und eminent technologischen Definition stellt sich die Transduktion als Energieentladung aus einem Feld von Potentialitäten in Richtung auf eine bestimmte Entstehung eines Ereignisses dar. Bezeichnenderweise gehört nach dieser Definition der Wandler weder dem Bereich des Potentials an, noch demjenigen der tatsächlichen Energie: er fungiert als Mittler zwischen diesen beiden Bereichen, als eine Randzone der Unbestimmtheit zwischen ihnen; und diese Unbestimmtheit entsteht aus der Information, welche eine Bedingung dafür ist, dass die Aktualisierung stattfinden kann (siehe Simondon 1958, 143).[8] In diesem Sinne konnte Brian Massumi zu der Schlussfolgerung gelangen, dass:

[…] Transduktion die Übertragung eines Impulses der Virtualität von einer Aktualisierung zu einer anderen sowie über diese alle hinweg ist. Transduktion bedeutet die Übertragung einer Potentialkraft, die man spüren muss, wobei diese gleichzeitig die begrenzende Auswahl der Apparate der Aktualisierung und Anwendung verdoppelt, sie ermöglicht und ihr schließlich entgegenwirkt. (Massumi 2002, 42–43)[9]

Mit der Formulierung „eine Potentialkraft, die man spüren muss“ bezieht sich Massumi auf die absolute Realität dieses „Potentials“: alle Kräfte, welche Simondons potentielle Energie konstituieren, sind real und existieren „in dieser Welt“. Manchmal werden sie als Spannung wahrgenommen, ein anderes Mal bleiben sie unseren Sinnen verschlossen, können aber mit Hilfe technischer Apparate gemessen werden.

Die Glühbirne ist wahrscheinlich das einfachste Beispiel für einen Wandler als ständiges elektrisches Relais. Elektrischer Strom ist im Stromkreislauf als potentielle Energie enthalten; in dem Augenblick, in dem man eine Lampe einschaltet, wird ein Teil dieser potentiellen Energie in die Glühbirne entladen, die aber nur 5% der gesamten Energie in sichtbares Licht umsetzt (der Rest geht als Wärme verloren). Die Aufgabe der Glühbirnen ist die Herstellung von Licht, doch der konkrete Transduktionsprozess erzeugt Licht und Hitze, wobei er den materiellen Begrenzungen des Wolframfadens entgegenwirkt und ihn schließlich zerstört, indem er ihn verbrennt. Es ist der modulierbare Widerstand—der gesamte Komplex aus Glühfäden, Materialien, Unterstützern und Gasen innerhalb der Birne—was die aktuale Umsetzung von Energie in Form von Licht beeinflusst, generiert und verändert. All diese Materialien sind kein ‚elektrischer Strom‘, und genauso wenig handelt es sich um ‚Licht‘, sie sind lediglich Wandler, die zwischen Elektrizität und Lichtleistung vermitteln.

3.2. Übergang (Temporalität)

Eine allgemeinere und breitere Definition der Transduktion findet sich in Simondons Aufsatzsammlung Sur la Technique (2014), wo Transduktion—im Zusammenhang mit der Diskussion von Vorstellungen des technischen Fortschritts—als Übergang von einem konstituierten Ensemble zu einem anderen, das sich im Prozess der Konstitution befindet, dargestellt wird: „le passage d’un ensemble constitué à un ensemble à constituer“ (Simondon 2014, 452).[10] Was an dieser Definition auffällt, ist die grundlegende Hereinnahme von Zeit und Temporalität als fundamental für das Fungieren der Transduktion. Transduktion findet in der Zeit statt, sie ist ein Prozess, eine Operation mit einer temporalen und energetischen Ausrichtung (auch wenn sich diese nicht eindeutig bestimmen lässt). Und diese temporale Dimension entfaltet sich von einem Punkt zum nächsten, in engster Nachbarschaft des einen zum anderen, aber nicht innerhalb eines vollständigen Kontinuums: „En ce sens est transductif ce qui se transmet de proche en proche, ce qui se propage avec éventuellement amplification“ (Simondon 2014, 452, Hervorhebungen durch den Autor). „De proche en proche“ bedeutet ‚allmählich‘, ‚Stück für Stück‘, ‚langsam‘, ‚fortlaufend‘, ‚aufeinanderfolgend‘. Simondon könnte sich nicht deutlicher äußern, wenn es um das entscheidende Merkmal der Transduktion geht, nämlich ihre Prozesshaftigkeit. Diese Reflektion ist die Grundlage von Simondons Projekt: wichtiger als die Diskussion darüber, was die Dinge ‚sind‘, ist zu überlegen, wie sie das werden, was sie sind, und welche zukünftigen Möglichkeiten sie enthalten. Jede Gegenwart, jedes ‚Hier-und-Jetzt‘, jedes Ereignis—aber auch jede materielle Konstruktion—ist unendlich gespalten in Vergangenheit und Zukunft.

Diese ersten beiden Definitionen der Transduktion—die intensive Entladung einzelner Einheiten potentieller Energie sowie der temporale Übergang von einem Zustand in einen anderen—enthüllen die zugrundeliegende Präsenz unterschiedlicher Arten von Spannung, unterschiedlicher Problemfelder. Einerseits—im energetischen Sinne—wird nicht die gesamte potentielle Energie im Hier-und-Jetzt des Ereignisses aktualisiert; es gibt immer erhebliche Mengen potentieller Energie, die Möglichkeit bleiben, selbst wenn sie real (als Möglichkeiten) sind, aber sie werden nicht konkretisiert.[11] Andererseits—temporal—lassen sich nicht all diese unzähligen Konstituenten des Prä-Lebens eines Dings oder Ereignisses in ihren Konkretisierungen aktualisieren. Der transduktive Prozess führt zu sich ständig verändernden Zuständen die, gleichzeitig und ohne sich zu widersprechen, mehr und weniger sind als ihre vergangenen oder zukünftigen Potentiale: weniger, weil sie nicht alle virtuellen Möglichkeiten enthalten können; mehr, weil sie neue, unvorhersehbare und unvorhersagbare neue Spannungen erzeugen, neue Potentiale, die weitere Ausgleichsprozesse erfordern. Wenn die Transduktion eine Reduktion der Potentiale/des Potentials ihrer fortlaufenden Aktualisierung enthält, dann gehört dazu auch eine Zunahme von Spannungen in der Zukunft (Unvorhersagbarkeit), welche den Bereich des Virtuellen verstärkt.

3.3. Energie (Thermodynamik): Potential, Skalierungen (scales), Entropie

Im Unterschied zu klassischen Theorien der Form wie zum Beispiel der Gestalttheorie, welche stabilisierte Formen beschreibt, oder dem hylemorphen Schema mit seinem deutlich unterscheidbaren Begriffspaar von Form und Materie, schlägt Simondon eine Sichtweise auf Form und Materie vor, welche die energetische Dimension fundamental enthält und vollgeladen ist mit ‚noch zu kommenden‘ Transduktionen (transductions à venir). Schon auf den ersten Seiten seiner ‚Einleitung‘ zu L’individuation (Simondon 2013) argumentiert Simondon, dass das hylemorphe sowie das monistische Schema zu keinem Zeitpunkt die energetischen Bedingungen der Konstituierung von Form und Materie selbst in Betracht ziehen, die aber doch mächtige energetische Potentiale und formgebende Informationsstrukturen enthalten. Ein meta-stabiles System weist eine komplexe Balance zwischen zwei wichtigen Prozessen auf: zwischen der Degradierung von Energie (Entropie) und der Erzeugung einer strukturellen Ordnung (Negentropie). In seinem Denken der Individuation, sowohl physischer als auch psychischer Art, betrachtet Simondon das ‚Sein‘ nicht als eine Substanz, Materie oder Gestalt, sondern als ein unter Spannung stehendes, übersättigtes System, das mehr ist als eine einzige Einheit:

Pour penser l’individuation il faut considérer l’être non pas comme substance, ou matière, ou forme, mais comme système tendu, sursaturé, au-dessus du niveau de l’unité, ne consistant pas seulement en lui-même, et ne pouvant pas être adéquatement pensé au moyen du principe du tiers exclu ; l’être concret, ou être complet, c’est-à-dire l’être préindividuel, est un être qui est plus qu’une unité. (Simondon 2014, 25)

Simondons Kritik eines Denkens, das ausschließlich auf stabilen Formen des Gleichgewichts beruht, die auf dem ‚Sein‘ beharren und das ‚Werden‘ ignorieren, brachten Simondon zu einer Definition von ‚Meta-Stabilität‘, die sich auf drei grundlegende Begriffe der Thermodynamik gründet: (1) der potentiellen Energie eines Systems; (2) den Größenordnungen (ordres de grandeur) eines Systems (einschließlich intensiver und extensiver Variablen sowie der Modulation von mikro- zu makro-Skalierungen); und (3) dem Wachsen der Entropie (der energetischen Degradierung des Systems). Dies beruht auf jener dreifachen Bezugnahme, mit deren Hilfe Simondon die Ideen ‚prä-individuell‘, ‚meta-stabiles System‘, ‚Übersättigung‘, ‚Differentiationsprozesse‘ und ‚Individuation‘ untersucht. Eine als völlig ‚stabil‘ oder ‚beendet‘ verstandene Form entspricht der höchstmöglichen Stufe der Negentropie und definiert ein unbewegliches Stratum. Im Gegensatz dazu gibt es innerhalb eines jeden gegebenen meta-stabilen Systems Flüsse übersättigter Energien diverser Ordnungen, die an einem bestimmten Punkt (struktureller Keim) zu einer Überspannung des Systems führen, woraufhin die Energie geringer wird (Entropie), was zu Prozessen der Differentiation und Individuation (Negentropie) führt.

3.3.1. Potentielle Energie

In der konventionellen Verwendung des Begriffs in der Physik bezieht sich ‚potentielle Energie‘ auf das Mögliche oder Virtuelle (im traditionellen Sinn von ‚nicht wirklich sein‘ oder reine ‚Möglichkeit‘). Simondon bezieht sich häufig auf dieses Verständnis, und David Scott (2014) hat den Unterschied dieser Konzeption zu Deleuzes Begriff des Virtuellen (bei der die potentiellen Möglichkeiten real sind, obwohl sie unverwirklicht bleiben) in zugespitzter Weise dargestellt. Hier scheint latent ein entscheidender Unterschied zwischen Simondon und Deleuze zu bestehen, der sich auf das Konzept des ‚Virtuellen‘ bezieht. Einerseits „weist Simondon die Vorstellung des Virtuellen ganz eindeutig zurück“ (Scott 2014, 17),[12] doch andererseits führte er ein entscheidendes Kriterium ein, nämlich das ‚reale Potential‘, womit er andeutete, dass das Potential ‚tatsächlich existiert‘ (siehe Barthélémy 2012, 225). Wie Simondon schrieb: „Das Potential, verstanden als potentielle Energie, ist real, denn es drückt die Wirklichkeit eines meta-stabilen Zustands sowie dessen energetische Situation aus“ (Simondon 2013, 547, zitiert nach Barthélémy 2012, 225).[13] Das reale Potential ist fundamental für die Definition eines meta-stabilen Systems: es ist das Potential, welches ihm die Möglichkeit zum Werden verleiht, die Möglichkeit sich verändernder Phasen von einem Zustand zum nächsten. Eine Individuation beginnt mit einem Ungleichgewicht zwischen Energiepotentialen, von dem aus ein Individuum fortschreitend entsteht, als Lösung für ein Problem, das selber von anderer Art ist. Wie Bestegui schrieb: „Ein Organismus ist immer mehr als seine organisierte und ausdifferenzierte Realität. Dieser Exzess zeigt eine virtuelle Realität an, die sich im Embryonalzustand beobachten lässt“ (Beistegui 2012, 170).[14]

3.3.2. Größenordnungen (Skalierungen)

Für Simondon kann eine jede gegebene Menge an Materie nur dann in einen Prozess neuer Individuation eintreten, wenn sie in einen passenden energetischen Zustand gebracht wird. Gegen das hylemorphe Schema, das feste Formen und feste Materien impliziert, argumentiert Simondon, dass „die Entstehung einer jeden Entität dasselbe ist wie das Erscheinen einer meta-stabilen ‚Seinsphase‘, die ihre eigene, neue ‚Größenordnung‘ (ordre de grandeur) konstituiert“ (Borum 2017, 99).[15] Der Individuationsprozess beruht also auf singulären Ereignissen, die eine Verbindung zwischen unterschiedlichen ‚Größenordnungen‘ (orders of magnitude) herstellen (heutzutage üblicherweise als ‚Skalierungen‘ (scales) bezeichnet). Wenn zum Beispiel durch einen Virus eine DNA von einem Bakterium auf ein anderes übertragen wird, ein Prozess, in dessen Verlauf über einen viralen Vektor fremde DNA in eine andere Zelle überführt wird, dann handelt es sich um den Übergang von der Skalierung des Virus zur Skalierung des Bakteriums, wodurch Letzteres in eine neue Form der Individuation überführt wird. Ein weiteres Beispiel, das Simondon (2013) gibt, ist das Vegetative, das er als „ein Individuum [bezeichnet], welches die Ordnung der kosmischen Großartigkeit des Sonnenlichts (nötig für die Photosynthese) und die molekulare Ordnung der Mineralien, von denen das Vegetative lebt, in eine Beziehung zueinander setzt“ (Barthélémy 2012, 220).[16] Der entscheidende Punkt ist, dass Simondon auf der Suche nach den Effekten des Verhältnisses zwischen Größenordnungen war. Für ihn ist das Individuum eine Relation und nicht einfach in Relation zu irgendetwas Äußerlichem. Das Individuum, das diese Relationen ermöglicht, wird tatsächlich durch sie definiert: es ist die Relation zwischen unterschiedlichen Größenordnungen, welche das Individuum zu dem macht, was es ist. Daher kann ein jedes gegebene Individuum nur aus einer intrinsischen Artikulation mit einem assoziierten Milieu entstehen. Kein Individuum ist autonom. Es gibt keine Autonomie. Alles ist Beziehung zwischen unterschiedlichen Größenordnungen: „Es gibt die Individuation, denn es gibt einen Austausch zwischen der mikro-physischen und der makro-physischen Ebene“ (Simondon 1995, 148).[17]

3.3.3. Entropie

Ein meta-stabiles System weist eine komplexe Balance zwischen zwei wichtigen Prozessen auf: der Degradierung von Energie (Entropie) und der Erzeugung einer strukturellen Ordnung (Negentropie). Selbst wenn die Entropie, nach dem Zweiten Gesetz der Thermophysik, nur zunehmen kann, werden doch die meisten existierenden Systeme von der Negentropie und der Information bestimmt. Wie Beistegui es formulierte:

Ein meta-stabiles System ist ein System das, während es dem Zweiten Gesetz der Thermophysik nicht widerspricht, welches festlegt, dass langfristig sämtliche Unterschiede der Energie aufgehoben werden, in sich eine ausreichende Menge an Energie—an Unterschieden des Potentials—enthält, um Ordnung herzustellen. Es gibt keine Form, welche über der Organisation der Materie steht; es gibt nur eine Serie von Prozessen der In-formation, durch welche die Materie sich selbst organisiert. (Beistegui 2012, 171)[18]

Im Bewusstsein der neueren Entwicklungen der Kybernetik und Informationstheorie (sowie der Debatten über die Begriffe der Entropie und Negentropie, einschließlich Norbert Wiener und Claude E. Shannon) distanzierte sich Simondon von diesen Traditionen, indem er versicherte, dass „der Differenzierungsprozess in keiner Weise in quantitativen Begriffen verstanden werden kann und nicht zu irgendeiner Art stabiler Formalisierung neigt“ (Massumi 2012, 32).[19] Obwohl die Photosynthese für Simondon tatsächlich der Entladung einer messbaren Menge an Energie entspricht, so fällt sie doch entscheidend dem Überschreiten einer Schwelle zu einer qualitativ anderen Ebene der Individuation zusammen. Die qualitative Schwelle ist das, was für Simondon hauptsächlich zählt. Kein Zweifel, das System wird sich langfristig energetisch selbst degradieren, doch so lange das Potential an (virtueller) Energie nicht völlig erschöpft ist, wird die Information dieser Dispersion entgegenwirken, indem sie sich den res intensa in Richtung auf die res extensa kraftvoll widersetzt. Die traditionelle Physik der Substanzen und Materie hatte die durch die Energieverteilung entstehenden Probleme ignoriert und sich zu sehr auf die res extensa konzentriert (siehe Garelli 2013, 14). Mit der Thermodynamik fand Simondon eine Möglichkeit, die In-formation der Ereignisse in adäquaterer Weise anzusprechen. Ein früher Entwurf der Einleitung zu L’individuation à la lumière des notions de forme et d’information enthüllt Simondons präzise Positionierung innerhalb der kybernetischen Debatten der Zeit:

Pour définir la métastabilité, il faut faire intervenir la notion d’information d’un système; à partir de ces notions et tout particulièrement de la notion d’information que la physique et la technologie pure moderne nous livrent (notion d’information conçue comme négentropie), ainsi que de la notion d’énergie potentielle qui prend un sens plus précis quand on la rattache a la notion de négentropie’. (Simondon 2013, 26)

In derselben Weise, bei Gelegenheit eines öffentlichen Vortrags bei der Société française de philosophie (27. 02. 1960), lieferte Simondon eine vollständige Definition der Transduktion, einschließlich der „Irreversibilität der Information“ als ihres Kerns. Ist die potentielle Energie erst einmal freigesetzt, erscheint sie als eine neue Struktur, „qui est comme une résolution du problème; dès lors, l’information n’est pas réversible: elle est la direction organisatrice émanant à courte distance du germe structural et gagnant le champ“ (Simondon 2013, 538, Hervorhebung durch den Autor). Entropie und Negentropie definieren die grundlegenden Koordinaten der Bewegung und Ausrichtung der transduktiven Operation.

3.4. Strukturkeime und Singularitäten (Strukturation)

Die Bejahung der bis hierher dargestellten komplexen Prozesse der Differenzierung/Individuation führt zu der Frage, was sie verursacht, in Gang setzt, in Bewegung setzt. Ein völlig stabiles System hat keinerlei innere Bewegung mehr; es stellt ein Stratum mit dem höchsten Maß an Negentropie dar. Das andere Extrem ist ein völlig instabiles, chaotisches System ohne strukturierende Funktion, dessen sämtliche Potentiale nie konkretisiert werden. Doch was lässt ein meta-stabiles System den transduktiven Prozess beginnen? Simondon ist sehr präzise bei der Identifizierung des Verursachers dieses Prozesses: es handelt sich um das, was er als Strukturkeim bezeichnet (siehe Simondon 2013, 77–84). Ausgehend von wissenschaftlichen Studien zur Kristallisierung bezieht sich Simondon auf das Beispiel der allotropischen Kristalle (Kristalle, die in zwei oder mehreren unterschiedlichen Formen existieren, dabei aber im selben physikalischen Zustand sind), um Transduktion als „Bezeichnung für die fortlaufende Aktualisierung bzw. Strukturierung der Potentiale eines meta-stabilen Systems [zu erklären], dessen konstitutive, heterogene Ordnungen durch eine als ‚Strukturkeim‘ fungierende Singularität in Kommunikation miteinander gebracht werden“ (siehe Simondon 2013, 78, 82). Dieser ‚Keim‘ ist der Ausgangspunkt des ganzen dann folgenden Transduktionsprozesses. Indem er eine Singularität enthält (Simondon 2013, 77), hat dieser Ausgangspunkt die Fähigkeit, das meta-stabile Gleichgewicht des Systems zum Zusammenbruch zu bringen und die Propagierung einer Transformation zu ermöglichen, die nach und nach von den bereits transformierten Teilen in Richtung auf die noch zu transformierenden verläuft. Jede ‚zukünftige‘ Stelle ist dementsprechend eine Art ‚Erweiterung‘ oder ‚Verlängerung‘ des ursprünglichen Keims und seiner intrinsischen Singularität. Wie Simondon sagt: „In dieser Weise wird gesagt, dass […] das strukturierte Individuum, das aus diesem Prozess [der Verstärkung] entsteht, als ‚Verlängerung‘ dieser Singularität bezeichnet wird“ (Simondon 2013, 82).[20]

Um es noch einmal zusammenzufassen: Es gibt einen Ausgangskeim, der eine Singularität enthält, diese Singularität wird dann über die Zeit hinweg ‚verlängert‘, d. h. die Singularität wird für einen Zeitausschnittt in-Bewegung-gesetzt, wobei sie eine Oberfläche von Intensitäten definiert. Diese Singularität kann nicht als solche oder in abstrakter Weise beschrieben werden, und entsprechend vermeidet Simondon auch jede Art von ‚Wesenheit‘. Eine Singularität hat nur eine lokale Definition, die unter ganz bestimmten Umständen gegeben ist, nämlich unter solchen, die einen Bruch des meta-stabilen Gleichgewichts ermöglichen (oder dadurch ermöglicht werden). Der wichtigste Punkt ist, dass der Ausgangskeim keine Form oder Materie darstellt, sondern ein strukturelles konstitutives Potential, das heißt, dass er eine Art Information in sich trägt, welche die Grundbedingungen dafür bestimmt, dass ein Ereignis geschieht—häufig stammt diese aus einem externen System (zum Beispiel wenn eine DNA durch einen Virus von einem Bakterium auf ein anderes übertragen wird, wobei eine fremde DNA über einen viralen Vektor in eine andere Zelle überführt wird). Wie Simondon schreibt:

L’existence effective d’un état individualisé résulte du fait que deux conditions indépendantes se sont trouvées simultanément remplies: une condition énergétique et matérielle résultant d’un état actuel du système, et une condition événementielle, faisant le plus souvent intervenir une relation aux séries d’événements qui proviennent des autres systèmes. (Simondon 2013, 80, Hervorhebungen durch den Autor)

Dieses Zitat enthält noch eine weitere entscheidende Komponente des transduktiven Prozesses. Ein meta-stabiles System ist nicht nur instabil, sondern auch nicht-einheitlich, es ist nicht Eins—es gibt immer multiple ‚Serien‘ von Ereignissen, welche es durchlaufen. Es handelt sich um ein System, das in der Lage und sogar dazu gezwungen ist, aus sich heraus zu expandieren, um mit anderen Systemen zu interagieren. Es ist nicht unabhängig oder autonom. In einem exklusiven Verhältnis zu sich selbst kann es weder überleben noch fortbestehen. Es handelt sich um ein eingeschränktes System: unter Spannung stehend, übersättigt, selbstüberlagernd, heterogen sich selbst gegenüber. Das Sein lässt sich nicht auf das reduzieren, was es ist; Sein ist zugleich Struktur und Energie (siehe Simondon 1989, 284), Zeichen und Potenz, Längen- und Breitengrad.

Der Strukturkeim fungiert daher als Komponente einer Assemblage, welche ihn in Bewegung setzt, ihn dramatisiert. Die Unterscheidung zwischen dem Virtuellen und dem Aktualen ist nicht einseitig oder eine ontologische Black Box. Diese Unterscheidung ist prozesshaft und differenziell und macht das „a priori sowie das a posteriori zum Produkt von Individuationsprozesse anstatt zu deren Bedingung“ (Toscano 2012, 389).[21] In diesem Sinne lässt sich die Individation (mit all ihren Aktualisierungen) als eine Dramatisierung denken: die plötzliche, unerwartete und effektive Bildung und Entstehung eines Perzepts. Wie Alberto Toscano (2012, 390) schrieb: „Simondons Theoretisierung der prä-individuellen Singularitäten bleibt formativ“.[22] Der Strukturkeim operiert als Anreger, Ausgräber (excavator) oder explosiver Auslöser eines raumzeitlichen meta-stabilen Systems. Er eröffnet neue Räume und Zeiten, indem er nicht nur unvorhersagbare Zukünfte enthüllt, sondern ebenso unvermutete Vergangenheiten—Dinge, die da waren, aber noch nie zuvor gesehen oder gehört wurden.

3.5. Haecceïtas: von der haecceitas (Duns Scotus) zur eccéité (Simondon) zur heccéité (Deleuze und Guattari)

Diese dramatische Eröffnung eines neuen Zeit-Raums der Möglichkeiten zeigt starke Anklänge an Deleuzes und Guattaris Konzept der Haecceïtas, ein Konzept, welches die Entstehung einer Singularität in jeder gegebenen Skalierung und jedem gegebene Bereich theoretisiert, von molekularen Begegnungen bis zu geologischen Zusammenstößen, Landschaften, Stunden des Tages, menschlichem Denken, den Künsten und so weiter. Es ist wichtig, dass eine Haecceïtas sich nicht auf einen voll ausgebildeten Zeit-Raum bezieht, sondern auf einen radikalen raum-zeitlichen Dynamismus. Wie François Zourabichvili feststellte: „Sie kombiniert nicht zwei prä-existente Zeit-Räume; im Gegenteil, sie ist der Auslöser für deren Genesis. Die Haecceïtas ist das verbindende Element heterogener Dimensionen der Zeit, aus denen Zeit-Räume abgeleitet werden“ (Zourabichvili 2011, 108).[23] Dementsprechend ist eine Haecceïtas ein Übergang, ein singulärer Punkt im Zeit-Raum, der diesen dramatisiert, umbiegt, faltet, ihm eine vergängliche Form und eine zeitliche Struktur verleiht.

In Erinnerungen einer Haecceïtas übernahmen und überarbeiteten Deleuze und Guattari das mittelalterliche Konzept der ‚Haecceïtas‘, um zu einem Modus der Individuation zu gelangen, der nicht dem Modus eines Dinges oder Subjektes verwechselt werden kann (siehe Sauvagnargues 2016, 65). Als Antwort auf die Bitte um Klarstellung der Verwendung dieses Begriffs seitens der Übersetzer_innen der amerikanischen Ausgabe der Dialoge (Deleuze und Parnet 1987) stellte Deleuze fest, dass „Haecceïtas ein Begriff ist, der von der Schule des Duns Scotus häufig verwendet wird, um die Individuation von Wesen zu bezeichnen. [Ich verwende ihn] in einem spezielleren Sinn: im Sinne einer Individuation, die weder diejenige eines Objektes noch einer Person ist, sondern eines Ereignisses (Wind, Fluss, Tag, oder sogar die Stunde eines Tages)“ (Deleuze und Parnet 1987, 151–152).[24] Der Unterschied zur Definition von Duns Scotus ist von entscheidender Bedeutung und nur vollständig zu verstehen im Lichte von Simondons (scheinbar) falscher Schreibweise von ‚Haecceïtas‘ als ‚Ecceitas‘ (ohne ‚h‘), wodurch der Begriff eine modale (keine essentielle) Qualität erhält.[25] In einer berühmten Fußnote zu Tausend Plateaus erklärten Deleuze und Guattari diesen entscheidenden Unterschied genauer:

Manchmal schreibt man auch ‚Ecceïtas‘, indem man es von dem Wort ecce, ‚siehe da!‘, ableitet. Das ist ein Irrtum, denn Duns Scotus hat dieses Wort und diesen Begriff ausgehend von Haec, ‚dieses da‘, geschaffen. Aber das ist ein fruchtbarer Irrtum, da er einen Individuationsmodus unterstellt, der sich gerade nicht mit dem eines Dinges oder eines Subjektes verwechseln läßt. (Deleuze und Guattari 1992a, 354–355, Hervorhebungen durch den Autor)

Und im Haupttext erklären sie dies weiter:

Eine Jahreszeit, ein Winter, ein Sommer, eine Stunde oder ein Datum haben über eine vollkommene Individualität, der es an nichts fehlt, obwohl sie nicht mit der eines Dinges oder eines Subjektes zu verwechseln ist. Sie sind in dem Sinne Diesheiten, daß in ihnen alles ein Verhältnis von Bewegung und Ruhe zwischen Molekülen oder Teilchen ist, ein Vermögen zu affizieren oder affiziert zu werden. (Deleuze und Guattari 1992a, 354–355)

Für die Verwendung dieser Terminologie für die Darstellenden Künste (Musik, Tanz, Theater oder Performance) und besonders, wenn ich von intensiven Haecceïtates spreche, die durch hochgradig informierte ‚Strukturkeime‘ in Gang gesetzt werden, schlage ich die Einführung des Begriffs einer Mikro-Haecceïtas vor, eine temporale Radikalisierung des Konzepts, welche dieses auf winzige Sekundenbruchteile herunterbricht, auf das radikale Hier-und-Jetzt der sich entfaltenden Aufführung. Solche Haecceïtates wären durch intensive negentropische Eigenschaften gekennzeichnet, die sich in Hochgeschwindigkeit entfalten. Solche Arten von Haecceïtates meinen nicht die (stabile) Kontemplation, sondern schnelle (meta-stabile) Handlungen. Deleuzes typisches Beispiel für Haecceïtas—Lorcas Fünf Uhr Nachmittags —verfügt über die szenische Qualität, eine bestimmte Landschaft, Tageszeit, Temperatur, Sonnenlicht, Erinnerungen und so weiter zu arrangieren. Dies impliziert, dass eine bestimmte Menge Zeit (eine Dicke der ‚Präsenz‘) vollständig erfasst wird. Doch die junge Pianistin meines Ausgangsbeispiels, die Brahms Zweites Klavierkonzert zur Aufführung bringt, navigiert zwischen Hochgeschwindigkeitsabläufen ‚verlängerter Singularitäten‘. Es ist keine Zeit zur Kontemplation, die Dinge müssen in der unvermeidlichen Eile und unumgänglichen Sequenzialität des Hier-und-Jetzt geschehen. Mikro-Haeccïtas sind hochgradig energetisch aufgeladene und sich in Hochgeschwindigkeit bewegende Singularitäten, welche eine Kraft der Potentialität von einem metastabilen Zustand zum nächsten tragen. Aus ihnen besteht der sichtbare und hörbare Teil des künstlerischen Transduktionsprozesses. In ihrer Funktion als radikales Werden erscheinen sie zu keinem Zeitpunkt als stabile ‚Seiende‘, sondern bleiben ein Impuls des Virtuellen von einer Aktualisierung zur nächsten. Wenn man künstlerische Aufführungen mit diesen Operationen im Hinterkopf denkt, durchführt oder erlebt, wird Deleuzes Vorstellung einer ‚Aufnahme der Kräfte‘ greifbarer als je zuvor: das Virtuelle wird aktual, um augenblicklich wieder im Virtuellen aufgelöst zu werden. Unsere Pianistin, die Brahms zur Aufführung bringt, ist das perfekte Beispiel für solch eine Aufnahme: sie reproduziert nicht einfach eine geschichtete, prä-existente Entität, sondern führt eine Aufnahme von Kräften (des Virtuellen) durch, was eine neue (tatsächliche) Individuierung als ein hochintensives Werden hervorruft, welches unmittelbar—sowie es erzeugt ist—auf weitere virtuelle prä- und post-Individualitäten vorverweist. Mikro-Haecceitates enthüllen also in gleicher Weise sowohl die nicht-deterministischen Vergangenheiten ihrer individuellen konstitutiven Kräfte als auch ihre unvorhersagbaren Zukünfte. Indem sie dies tun, enthüllen Mikro-Haecceitates die Herstellung von Kunst als ein grundsätzlich problematisches Feld—indem sie heterogene Spannungen erzeugen und verstärken, welche die Bedingungen für ihre eigenen (vorübergehenden) Auflösungen herstellen. So thematisieren Mikro-Haecceitates, ganz wie Deleuzes Haecceitates, das Ereignis: die Entstehung einer Singularität und den Übergang von einem Milieu in ein anderes.

3.6. In-formation (Topologie)

Mit der bis hierher vorgelegten Definition haben wir raum-zeitliche energetische Prozesse präsentiert, die von sehr einfachen elektrischen Entladungen (Glühbirne) bis zu hochgradig komplexen thermodynamischen Operationen reichen, einschließlich einer Verbindung zu Deleuzes und Guattaris Konzept der Haecceïtas. Dieserart sind wir hauptsächlich innerhalb des Bereichs der physischen Individuation geblieben, die etwa ein Drittel von Simondons Gesamtprojekt ausmacht. Tatsächlich hat Simondon noch andere Weisen, die Transduktion zu denken, vorgeschlagen, einschließlich der Individuation biologischer Organismen sowie psychischer und kollektiver Instanzen und Verbindungen. Hier ist es nicht möglich, sich mit all diesen Aspekten zu beschäftigen, doch sollte man einen weiteren grundlegenden Aspekt der Transduktion erwähnen, nämlich ihre topologischen Implikationen. Wie Jacques Garelli in der Einleitung zu L’individuation à la lumière des notions de forme et d’information schrieb:

[…] la transduction, étroitement solidaire de la décharge de l’énergie potentielle sursaturée d’un système métastable, va apparaître comme prise de forme et, à ce titre, au double sens topologique et noétique conjugué, ‘in-formation’. (Garelli 2013, 15, Hervorhebungen vom Autor)

Im Prozess der Selbstentfaltung im Verlaufe der Zeit verleiht die transduktive Operation einer Oberfläche der Immanenz Gestalt. Innerhalb des Horizontes der Möglichkeiten, die durch sein ihm assoziiertes Milieu sowie durch dessen multiple Größenordnungen definiert sind, erzeugen transduktive Prozesse einen spezifischen Raum, der kartographiert werden kann, ohne sich auf externe Koordinatensysteme beziehen zu müssen. Parallel zur Entladung der prä-individuellen potentiellen Energie und zur Interferenz zwischen unterschiedlichen Skalierungen in-formiert der transduktive Prozess eine topologische Struktur, indem er eine multidimensionale Form erzeugt. Die durch die transduktiven Bewegungen übertragene Information darf nicht als reine Übertragung einer kodierten Nachricht verstanden werden—in perfekter Weise von einem Sender an einen Empfänger geschickt—sondern vielmehr als ein ‚Form annehmen‘ im Verlauf des Kommunikationsprozesses selbst. Information hat also zwei Seiten: eine noetische Seite, welche den ‚Strukturkeim‘ trägt, und eine topologische Seite, welche den Strukturkeim auf jede andere Weise sichtbar, hörbar, berührbar oder wahrnehmbar macht. In dieser Doppelfunktion—noetisch und topologisch—integriert die Transduktion Denken und Werden in einer einzigen Dimension, die nicht außerhalb ihrer eigenen Begrifflichkeiten steht.

Während die Deduktion ein externes Prinzip erfordert, um innerhalb eines gegebenen Feldes ein lokales Problem zu lösen, und während die Induktion (per definitionem) Generalisierungen vornimmt, indem sie die üblichen Merkmale aller Begriffe dieses Feldes beibehält, stellt die Transduktion die fortlaufende Erschaffung neuer Dimensionen innerhalb eines Systems dar, welches Verbindungen und Kommunikationswege zwischen ihren eigenen disparaten konstitutiven Teilen herstellt. Die Transduktion erzeugt Formen und Texturen. In diesem Sinne kann man feststellen, dass die Transduktion auf ein neues Konzept des Raumes verweist, beruhend auf Vielfältigkeiten, Mannigfaltigkeiten, Vektoren und Potentialitäten. Es geht nicht um Biegungen in einem flachen Raum, sondern um die Biegung des Raumes selbst. Anstelle eines transzendentalen Referenzraums—mit seinem System von Koordinaten und seinen externen/extensiven Eigenschaften—erschafft die Transduktion eine Riemannsche Oberfläche, einen immanenten Raum mit intensiven, internen und intrinsischen Eigenschaften. Der Strukturkeim trägt einen machtvollen Transportvektor, dessen genaue Geschwindigkeit und Richtung die Anleitung der sich entfaltenden Form und Struktur leistet.

Da, wo das hylemorphe Schema der Materie innerhalb eines metrischen Euklidischen Koordinatenraums eine Form aufzwingt, ermöglicht Simondons transduktive Perspektive Vielfachheiten und differentiale Mannigfaltigkeiten, welche sich innerhalb selbstdefinierter Raum-Oberflächen entwickeln. Vektoren und Funktionen ersetzen das traditionelle X-Y-Z-System der Koordinaten. Wie Manuel DeLanda es formuliert hat:

während die Punkte innerhalb eines metrischen Raumes durch eine Anzahl von X, Y und Z-Werten definiert sind, die ein System kartesianischer Koordinaten und einen transzendenten globalen Raum voraussetzen, in welchen der zu untersuchende Raum eingeschrieben ist, handelt es sich bei einer differentiale Mannigfaltigkeit um einen Bereich von Schnelligkeiten und Langsamkeiten, um die Schnelligkeit oder Langsamkeit, in der die Krümmung sich an jedem Punkt verändert. (DeLanda 2012, 227)[26]

Die Topologie wird relevanter als die Geometrie: Letztere beschäftigt sich mit Messungen und Verortungen an Hand externer Referenzsysteme, während Erstere Messungen ignoriert und sich nur mit der Struktur des Raumes qua Raum beschäftigt. Figuren und Formen werden nicht im Raum platziert; sie konstituieren ihre eigenen Räume (durch sich/in sich) selbst. Wie Arkady Plotnitzky argumentierte, „bedeutet diese Sichtweise eine radikale Veränderung unserer Philosophie von Raum und Materie sowie deren Beziehungen zueinander, indem sie zu einer horizontalen anstatt vertikalen (hierarchischen) Raumwissenschaft als ‚Typologie und Topologie der Mannigfaltigkeit‘ führt, was Deleuze und Guattari mit dem Ende der Dialektik assoziieren und auf philosophische, ästhetische, kulturelle oder politische Räume ausweiten“ (Plotnitzky 2009, 203).[27]

Dies sind die möglichen machtvollen Auswirkungen eines topologischen Verständnisses der Transduktion, da sie zu einem nicht-euklidischen Denkmodus führen—sie machen es möglich, dass Individuation zu Raumoberflächen potentiell unendlicher Dimensionen werden und befreien Verhältnisse von jeder Form transzendentaler Determination. Es ist der Begriff eines topologischen Raumes der Möglichkeiten, die es Deleuze erlaubte, die alte Dichotomie des ‚Allgemeinen‘ und des ‚Besonderen‘—welche die Philosophie von Aristoteles bis zu Kant und Hegel dominierte—zu überwinden, welche die hierarchische (vertikale) Verteilung von Form und Materie implizierte. Jenseits eines Systems der Kategorien wird Deleuze’ Welt ausschließlich von individuellen Singularitäten bevölkert, die aus transduktiven Prozessen der Individuation resultieren. Diese neuen Räume und die sie definierenden Referenzebenen bzw. ihre Komposition sind zutiefst immanent und stehen in einem Gegensatz zu den Ebenen der Transzendenz, die immer von oben kommen, als ob sie dem „Geist eines Gottes“ Gottes Gehirn“ entstammten und die „Subjekte und deren Bildungen“ beinhalteten (Deleuze 1988, 166). Im Gegensatz dazu „legt der Immanenzplan keine zusätzliche Dimension an [...]. [Solch ein Plan] wird [nur] wahrgenommen durch das, was er uns wahrnehmen läßt, und in welchem Maß.“ (Deleuze 1988, 166–167) Von einem topologischen Standpunkt aus ist ein Plan der Immanenz fundamental verschieden von einem Plan der Transzendenz: „Wir leben, denken, schreiben nicht auf gleiche Weise nach dem einen oder anderen Plan.“ (Deleuze 1988, 166–167)

3.7. Somatische Transduktion (Körperlichkeit)

Eine zusätzliche Erweiterung des Konzepts der Transduktion wurde von Brian Massumi vorgeschlagen, der, indem er sich auf den menschlichen Körper konzentrierte, diesen als einen „Wandler des Virtuellen (transducer of the virtual)“ definierte:

In der Wahrnehmung fungiert der denkende-fühlende Körper als ein Wandler. Wenn die Wahrnehmung die analoge Verarbeitung andauernder transformativer Kräfte durch die Körper-Materie darstellt, dann spielen dabei zuallererst Kräfte des Erscheinens eine Rolle: des zum Sein Gelangens, das als Werden registriert wird. Der Körper als Sensor der Veränderung ist ein Wandler des Virtuellen. (Massumi 2002, 135)[28]

Entsprechend dieser Feststellung ist der Körper—jeder einzelne menschliche Körper—nicht nur das individuierte, andauernde Ergebnis des transduktiven Prozesses: er ist selber ein Wandler, er ist selber Teil diverser transduktiver Ereignisketten. Der menschliche Körper ist nicht länger der privilegierte Ort eines idealisierten subjektiven und unkorrumpierten ‚Ichs‘, sondern ein Konglomerat von Molekülen, wodurch unpersönliche und prä-individuelle Singularitäten die Möglichkeit erhalten, im Rahmen spezifischer Ereignisse aktualisiert zu werden, wie zum Beispiel die Befruchtung von Zellen, der Embryonalzustand, die Bildung von Flüssigkeiten und Organen, das Nervensystem, das Gehirn, das Herz, die psychischen und kollektiven Modi der Individuation, noetische, kulturelle und künstlerische Ausdrucksweisen und so weiter und so fort. Dieser weitreichende Körper ist prä-human, human, nicht-human und post-human; alles zur gleichen Zeit, durch unterschiedliche Prozesse der Modulation und Transduktion. Der entscheidende Punkt ist der Tod des Subjekts, welcher es dem Körper erlaubt, energetische Prozesse zuzulassen, die unvorhersagbare Ereignisse ermöglichen—niemand wird jemals wissen, zu was ein Körper fähig ist. Besonders weil dieser nicht von irgendeinem idealisierten ‚Willen‘ des Subjekts abhängig ist.

In der Musik, sei es im Akt der Komposition oder der Aufführung, ist gerade der Körper die hauptsächlichste Schnittstelle bzw. der Wandler zwischen den unzähligen nicht-kompatiblen Potentialen und ihren effektiven akustischen Konkretisierungen. Ein radikal energetisierter Körper, aktiviert durch die Wunschproduktion, in-Gang-gesetzt durch eine Vielzahl simultaner Impulse, aufmerksam seiner eigenen andauernden Manifestation lauschend, liebend was er tut, hassend was er tut, und fortfahrend in der Ungewissheit der Zukunft. Er ist ein Wandler innerhalb eines meta-stabilen Systems, doch er stellt selber ein weiteres meta-stabiles System dar. Mit dem menschlichen Körper betreten wir den Bereich der Wandler von Wandlern, so etwas wie ein Ensemble von Wandlern. Der Körper eines Performers/einer Performerin ist ein „Körper, der schlägt“ (Barthes 1979, 47), ein erregter Körper kurz vor der Explosion, gerade im Begriff, eine energetische Entladung einzuleiten, aus den nicht einzudämmenden Spannungen der Musik sowie somatischen Intensitäten hin zu neuerlich individuierten Spannungen und Sensationen. Anstatt einer Logik der Sinne (mit eindeutigen Formen und Materien) fungiert der Körper des Künstlers/der Künstlerin als Wandler innerhalb einer Logik der Wahrnehmung (eingelassen in intensive transduktive Prozesse).

Der Körper, der eine Partitur notiert, seine eigenen Akkorde zum Vibrieren bringt, ein Instrument spielt oder ein Orchester dirigiert, ist ein komplexer Organismus, bewohnt von diversen Informationsschichten, welche die aktuale Umsetzung musikalischer Ereignisse modulieren und gestalten. Wie jeder Musiker/jede Musikerin weiß, „weiß niemand, wozu ein Körper fähig ist“, doch jenseits dieser Feststellung Spinozas kann man mit Deleuze darin übereinstimmen, dass „[…] niemand im Voraus die Affekte kennt, derer er fähig ist; es ist Sache langen Experimentierens, langer Umsicht, einer spinozistischen Weisheit, die die Errichtung eines Immanenz- oder Konsistenzplans impliziert.“ (Deleuze 1988, 162) Es ist die Herstellung solcher Kompositionsebenen, nie dagewesener Ansammlungen von Kräften und Intensitäten, was den begehrenden Körper vor allem anderen bewegt. Linguistische Metaphern, Strukturanalysen oder semiologische Studien können derartige Wunschproduktionen nicht erklären oder interpretieren. Zeichen, Formen und Kräfte sollen nicht ‚interpretiert‘, sondern umgewandelt und neu zusammengestellt werden, in einer lebendigen Relation, die es dem Künstler/der Künstlerin erlaubt, zum/r Experimentierenden zu werden oder, wie Anne Sauvagnargues es so schön genannt hat, zu einem Operateur der Kräfte:

Un groupement de forces, une interprétation des forces, dirait Nietzsche, c’est-à-dire un mode d’affection: le signe est la force en tant qu’elle est non pas interprétée, mais éprouvée dans une relation vitale qui permet à l’artiste d’être un expérimentateur, un opérateur de forces. En cela consiste l’invention de formes nouvelles, qui lie l’art à l’exploration des marges et en propose une théorie intensive. (Sauvagnargues 2005, 54, Hervorhebung durch den Autor)

Wenn wir uns auf Simondons Denkweise einlassen und seine Terminologie anwenden, dann lassen sich derartige Kräfte aus dem tendenziell unerschöpflichen Reservoir potentieller Energie und der negentropisch geladenen Informationen der Strukturkeime aufnehmen. Einmal in Gang gesetzt, geht die Aufnahme der Kräfte von selber weiter und erzeugt spezifische Individuierungen (neuer) Kräfte und Strukturen. Mehr als jedes andere Individuum spiegelt der menschliche Körper das, was Simondon in allgemeiner Weise über Individuen allgemein zum Ausdruck brachte: „Das Individuum, aufgrund der energetischen Bedingungen seiner Existenz, existiert nicht nur innerhalb seiner eigenen Grenzen; es konstituiert sich als die Grenze seiner selbst und existiert an der Grenze seiner selbst; es entsteht aus einer Singularität“ (Simondon 1995, 60, Hervorhebungen durch den Autor).[29] Dies ist eine Feststellung, die Spinozas berühmter Definition III in seiner Ethik nahekommt: „Unter Substanz verstehe ich das, was in sich selbst ist und durch sich selbst begriffen wird, d. h. das, dessen Begriff nicht des Begriffs eines anderen Dinges bedarf, von dem her er gebildet werden müßte. (Per substantiam intelligo id, quod in se est et per se concipitur.)“ (Spinoza 2007, 5 [1def3])[30], eine Feststellung, die das Potential hatte, die Transzendenz aus dem Bereich der Dinge auszuschließen.

3.8. Permanente Transduktion: ‚In-der-Welt-sein‘ und fluctuatio animi

Die besondere Spezifität lebender Organismen, welche sie auch von rein technischen Objekten unterscheidet, besteht in ihren transduktiven Modi der Individuation, die tatsächlich niemals enden (außer im Tod selbstverständlich). Während die Individuationsprozesse technischer Objekte eingestellt werden können, handelt es sich bei lebenden Organismen (für Simondon und Deleuze) um Individualitäten, deren Individuationsprozesse niemals zu einem Ende kommen: sie befinden sich in einem Zustand permanenter Transduktion (siehe Borum 2017, 114, Fußnote 12). Das Beispiel der Ziegelsteinherstellung zeigt, in welcher Weise die Transduktion stattfindet, „wenn die Hitze des Brennens und der Druck der Form die Lehmmoleküle dazu bringen, simultan eine kollektive Individualität anzunehmen, indem sie von potentieller Energie zusammengehalten werden“ (Borum 2017, 114).[31] Im Anschluss an die Formung hat die Transduktion ein Ende, und der Ziegel wird nicht weiter individuiert. Falls die interne Resonanz unvollständig bleibt, wird der Ziegel im Verlaufe des Brennprozesses zerspringen und den individuierten Zustand nicht erreichen. Bei lebenden Organismen kommt die Transduktion nie zu einem Ende, und zwar aufgrund ihrer grundlegenden und permanenten Meta-Stabilität als eines komplexen Systems, welches von einem permanenten Strukturkeim bewohnt wird, nämlich der DNA. Zusätzlich spielen noch weitere Dimensionen hinein: lebende Organismen entstehen nicht nur als Lösungen oder Auflösungen prä-individueller Spannungen oder unpersönlicher Strukturkeime, sie entwickeln sich ebenso durch und innerhalb von Prozessen der Entscheidungsfindung—Prozessen, in deren Zusammenhang die Auflösung „keine Lösung , sondern eine Entscheidung ist“ (Stiegler 2012, 187).[32] Innerhalb somatischer Transduktionen gibt es einen besonderen Typus des ‚Strukturkeims‘, der von Entscheidungen und proaktiven Handlungen inmitten von Zweifeln und Unsicherheit angetrieben wird. Simondon bezog sich auf diesen als fluctuatio animi, ein Ausdruck, der offensichtlich auf Spinoza zurückgeht:

Der beschriebene Zustand des Geistes, der zwei entgegengesetzten Affekten entspringt, heißt Schwankung des Gemüts [fluctuctuatio animi], die sich somit zu dem Affekt verhält wie der Zweifel zur Vorstellung [...]; und beide, Schwankung des Gemüts und Zweifel, unterscheiden sich voneinander nur durch ein Mehr oder Minder. (Spinoza 2007, 255 [3p17schol])

Simondon bezieht sich auf Spinozas Begriff im Zusammenhang mit den unzähligen Arten und Weisen des ‚In-der-Welt-seins‘. Der Begriff der ‚Adaption‘ bekommt besonderes Gewicht als Kennzeichen lebender Formen der Individuation: „Adaption ist permanente Ontogenese“ (Simondon 2013, 211).[33] In einer Welt, die nicht mit sich selbst in Übereinstimmung ist, die nur durch eine fundamentale ‚Disparation‘ erfasst werden kann, müssen lebende Organismen Entscheidungen treffen, um zu überleben, und agieren daher mit Entschlossenheit inmitten von Chaos und Unsicherheit. Solches geschieht nicht auf einer einzigen Ebene oder in einem einzigen Feld von Möglichkeiten, sondern auf vielen unterschiedlichen Ebenen und Skalierungen gleichzeitig. Wie Simondon schrieb:

La fluctuatio animi qui précède l'action résolue n'est pas hésitation entre plusieurs objets ou même entre plusieurs voies, mais recouvrement mouvant d'ensembles incompatibles, presque semblables, et pourtant disparates. Le sujet avant l'action est pris entre plusieurs mondes, entre plusieurs ordres; l'action est une découverte de la signification de cette disparation, de ce par quoi les particularités de chaque ensemble s'intègrent dans un ensemble plus riche et plus vaste, possédant une dimension nouvelle (Simondon 2013, 210).

4. Schluss

Dieses Kapitel war als ein Beitrag gedacht, um meine laufende theoretische und künstlerische Arbeit an einer dynamischen Theorie musikalischer Werke und ihrer Aufführung auf eine feste Grundlage zu stellen. Gilbert Simondons Konzept der Transduktion spielt eine äußerst wichtige Rolle für diese Theorie, indem es eine Vielzahl an Strategien sowie neue Modi der Konzeption und Ausführung musikalischer Aufführungen bietet (einschließlich der Komposition). Das Entscheidende ist, dass dadurch die Musikwissenschaft in die Lage versetzt wird, über formalistische, analytische, historiographische, organologische oder philologische Ansätze hinauszugelangen (die sich alle mit den res extensa beschäftigen), sich aber auch von soziologischen, psychologischen und auf Subjektivität beruhenden Untersuchungen hinwegzubewegen (die sich sämtlich mit dem menschlichen, allzu menschlichen ‚Ich‘ beschäftigen). Mit Hilfe der Transduktion werden die energetische Dimension und die nicht-menschlichen Bereiche intensiver musikalischer Prozesse sichtbar und können angesprochen werden. Ein musikalisches Werk zu komponieren und aufzuführen, bedeutet, in transduktive Prozesse einzutreten, in deren Verlauf der menschliche Körper, der in derartige Aktivitäten verwickelt ist, manchmal als Wandler fungiert, zu anderen Zeiten als individuierte Entität innerhalb des umfassenderen Ereignisses der Erzeugung von Musik.

Innerhalb Simondons Gesamtprojekt der Artikulation einer Theorie der Individuation physikalischer Materie, biologischer Organismen, psychischer und kollektiver Instanzen, der Technologie und der Künste gewinnen letztere eine privilegierte Stellung. Prä-individuelle Wolken der Potentialität sind in allen Modi der Individuation präsent, doch der Modus des Künstlerischen macht sie erfahrbar oder zumindest beinahe erfahrbar. Wenn die Individuation aus einer unendlichen Reihe von Möglichkeiten zur endlichen Entstehung eines Ereignisses gelangt, dann perforiert dieses Ereignis das Hier-und-Jetzt der empirischen Präsenz und projiziert es auf neue Felder zukünftiger unendlicher Möglichkeiten. Wie Deleuze und Guattari bekanntlich feststellten: „Die Kunst will Endliches erschaffen, dass das Unendliche zurückgibt: Sie entwirft eine Kompositionsebene, die ihrerseits unter der Einwirkung ästhetischer Figuren Momumente [sic!] oder zusammengesetzte Empfindungen trägt.“ (Deleuze und Guattari 1996, 235)

Simondons Begriff der Transduktion ermöglicht es, sich die Ebene der künstlerischen Schöpfung als materielle Individuation komplexer Verbindungen von Kräften vorzustellen, und nicht nur als deterministische oder aleatorische Schichtung monistischer und hylemorpher Konzepte. Zwischen Kunst und Philosophie „erweist sich die Rolle der Kunst als entscheidend und paradox: es ist die Kunst, insoweit als sie wirkliche Erfahrung ist, wovon die Philosophie eine theoretische Erneuerung erwartet, doch diese Erneuerung geschieht nicht konzeptionell: sie entsteht auf der Ebene des künstlerischen Schaffens“ (Sauvagnargues 2016, 68).[34] Das ist es, wovon ich als Performer ausgegangen bin, und von wo aus ich fortfahren möchte: von der Herstellung künstlerischer Werke, Assemblagen und Ereignissen, welche das künstlerische Pendant zu dem hier vorliegen Aufsatz liefern. Und in diesem Sinne ist dieses Kapitel nichts weiter als eine vorübergehende Individuation im Verlaufe eines längeren transduktiven Prozesses.


Endnoten

[1] Das terminologische Paar virtuell/aktual ist grundlegend für die differentielle Ontologie Gille Deleuze; sie findet sich in allen seinen Büchern und Aufsätzen seit seinen ersten Veröffentlichungen über Bergson (1956). Nach Anne Sauvagnargues bezeichnet das Aktuale „den gegenwärtigen und materiellen Zustand der Dinge, während sich das Virtuelle auf alles das bezieht, was gegenwärtig nicht hier ist (einschließlich unkörperlicher, vergangener oder idealer Ereignisse)“ (Sauvagnargues 2003, 22, Übersetzung aus der englischen Version von Mirko Wittwar). Es sind der Austausch und die Kommunikation zwischen dem Aktualen und dem Virtuellen, was eine Dynamik des Werdens als Different/ziation und Kreation ermöglicht.

[2] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[3] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[4] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[5] Deleuze hatte die Absicht, Bergsons Konzept der ‚Intuition‘ sowie den hier zitierten Satz als seine Art gesprochener Fußnote zu verwenden, welche das Publikum auf die Dichte und Dicke von Bergsons Konzept vorbereiten sollte.

[6] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar. Vom Französischen ins Englische übersetzt vom Autor. Original: „Une idée philosophique, il me semble, c’est toujours une idée à niveaux et à paliers. C’est comme une idée qui a ses projections. Je veux dire, elle a plusieurs niveaux d’expression, de manifestation. Elle a une épaisseur. Une idée philosophique, un concept philosophique, c’est toujours une épaisseur, un volume. Vous pouvez les prendre à tel niveau, et puis à un autre niveau, et à un autre niveau, ça [ne] se contredit pas. Mais c’est des niveaux assez différents.“ (Deleuze 2006, 0’55”-1’26”)

[7] „Man kann ein Gleichstromrelais als einen Wandler [transducteur] bezeichnen, das heißt als einen modulierbaren Widerstand, der zwischen der Quelle einer potentiellen Energie und einen Ort der Aktualisierung, also der Nutzung dieser Energie geschaltet ist: Dieser Widerstand lässt sich mittels einer Information modulieren, die von außerhalb der potentiellen Energie und der aktuellen Energie kommt.“ (Simondon 2012b, 131) Original: „On peut définir un relais continu comme un transducteur, c'est-à-dire comme une résistance modulable interposée entre une énergie potentielle et le lieu d’actualisation de cette énergie : cette résistance est modulable par une information extérieure à l'énergie potentielle et à l'énergie actuelle.“ (Simondon 1958, 143 [2012a, 197])

[8] „Der Wandler-Transduktor ist weder Teil des Bereichs der potentiellen Energie noch des Bereichs der aktuellen Energie: Er ist wirklich der Mediateur zwischen diesen beiden Bereichen, aber er ist weder ein Bereich für die Speicherung der Energie noch ein Bereich für die Aktualisierung: Er ist der Unbestimmtheitsspielraum zwischen diesen beiden Bereichen, er ist das, was die potentielle Energie ihrer Aktualisierung zuführt. Die Information greift im Verlauf dieses Übergangs vom Potentiellen zum Aktuellen ein; die Information ist Bedingung der Aktualisierung.“ (Simondon 2012b, 131) Original: „[…] le transducteur ne fait partie ni du domaine de l'énergie potentielle, ni du domaine de l'énergie actuelle: il est véritablement le médiateur entre ces deux domaines, mais il n'est ni un domaine d'accumulation de l’énergie, ni un domaine d'actualisation: il est la marge d’indétermination entre ces deux domaines, ce qui conduit l'énergie potentielle à son actualisation. C'est au cours de ce passage du potentiel à l'actuel qu'intervient l'information; l'information est condition d’actualisation.“ (Simondon 1958, 143 [2012a, 197])

[9] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[10] Dieser Satz war Teil von Simondons Antwort auf eine Frage von Anita Kéchickian in einem Interview im Jahre 1981, veröffentlicht als gekürzte Fassung in der Zeitschrift Esprit (1983) sowie unter dem Titel Sauver l’objet technique in Simondon (2014), 447–454.

[11] Dies ist ein strittiger Punkt, bei dem es um die Vorstellung von ‚Potential‘ und ‚reales Potential‘ geht und der im nächsten Abschnitt angesprochen werden wird. Mit seiner Vorstellung von ‚Potential‘ scheint Simondon Deleuzes ‚Virtuelle‘ auszuschließen, nicht aber mit seinem ‚echten Potential‘, welches Deleuzes Verständnis des ‚Virtuellen‘ näherkommt.

[12] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar. Scott fährt fort: „Das Annehmen der Form stellt den Übergang von echter Metastabilität zu einem stabilen Zustand dar. Doch für Simondon hat diese Operation nichts mit dem Begriff der Virtualität zu tun, die, wie er argumentiert, aus einem vorgestellten idealen Zustand besteht [„Gute Form“]; mit anderen Worten, in vollkommenem Gegensatz zu Deleuze, der darüber besorgt ist, dass man das Virtuelle und das Mögliche verwechselt könnte [Deleuze 1992b, 266–273], Simondon ist der Ansicht, sie seien Synonyme“ (Scott 2014, 17, Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar).

[13] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[14] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[15] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[16] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[17] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[18] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[19] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[20] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[21] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[22] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[23] Aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar. Aus dem Französischen ins Englische übersetzt vom Autor. Original: „L’heccéité n’est pas un espace-temps qualifié mais un pur dynamisme spatio-temporel, qui ne combine pas empiriquement deux espace-temps préexistants mais préside au contraire à leur genèse. Elle est la mise en communication des dimensions hétérogènes du temps, d’ou dérivent les espace-temps“ (Zourabichvili 2011, 108).

[24] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[25] Während Duns Scotus’ haecceitas „eine nicht-qualitative Eigenschaft [ist], welche für Individuation und Identität verantwortlich ist, was die Individualität erklären soll“ (Cross 2014, §1), ist Simondons eccéité modal und verweist auf einen nie beendeten Prozess der Entstehung oder Erscheinung (‚hier ist‘). Doch Simondon behält Duns Scotus’ Auge auf das ‚Diesheit‘ bei (eine haecceitas, von lateinisch haec, ‚dies‘) im Gegensatz zum ‚Washeit (quidditas, von lateinisch quid, ‚was‘) (siehe Cross 2014, §1). Für eine genauere Einführung in Duns Scotus’ Theorie der Individuation siehe Gérard Sondag 2005.

[26] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[27] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[28] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[29] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar. Übersetzung vom Französischen ins Englische durch den Autor.

[30] In einer Überlegung über die Modi der Performance von immenentem Ausdruck, interpretiert Arno Böhler diesen Satz in inspirierender Weise folgendermaßen: „For Spinoza, substance does not exist in something else. It exists, rather, in itself such that it conceptualizes itself from within itself.“ (Böhler 2014, 171)

[31] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[32] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.

[33] „Adaptation is a permanent ontogenesis.“ Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar. Übersetzung vom Französischen ins Englische durch den Autor.

[34] Passage aus der englischen Version übersetzt von Mirko Wittwar.


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Biographie

Paulo de Assis studierte Klavier, Komposition, Musikwissenschaft und Architektur. Er ist Autor zweier Bücher (Luigi Nonos Wende, Wolke Verlag; sowie Domani l’Aurora, Olschki, Florence) und Herausgeber von zehn Bänden, darunter Experimental Affinities in Music (Leuven University Press, 2015) und Virtual Works—Actual Things (LUP 2017, im Druck). Während er sowohl als Musiker als auch als Forscher aktiv ist, ist er derzeit Leiter des Projektes Experimentation versus Interpretation des European Research Council und Vorsitzender der International Conference on Deleuze and Artistic Research (dare2017.org).

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